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Das erste Mal wurde ich auf Katja Lewina im Endlich Om Podcast von Stefanie Luxat aufmerksam. Während des Hörens war ich die ganze Zeit hin- und hergerissen zwischen „Ist das ihr ernst“ und „Krass, was es nicht alles gibt. Woher nimmt sie nur ihre Toleranz“. Ich war fasziniert so viel stand fest. Sie sprach über ihre offene Ehe, ihren Freund und sonstigen sexuellen Erlebnisse, so dass ich mir zwischendrin vorkam, als würde ich unter einem Stein leben. Denn meine Welt ist monogam, da ist kein Platz für eine dritte oder sogar vierte Person.
Allein der Gedanke daran, bringt mich schlichtweg zur Weißglut. Ich würde platzen vor Eifersucht. Doch wenn ich eins in den letzten Jahren gelernt habe, ist es die Tatsache, das meine Wahrheit nicht die eines anderen sein muss. Es ist schlichtweg anmaßend, dass Lebensmodell eines anderen zu bewerten. Ich verstand Katjas Sichtweise nicht, auch wenn ich es wirklich versuchte. Vielleicht wühlten mich ihre Worte deswegen so auf. Das Ergebnis davon: Pure Neugier. Die war sogar so groß dass ich sie einfach anschrieb und fragte, ob sie Zeit für ein Interview hätte. Ich wollte mehr über diese Frau erfahren, die so mutig über Dinge sprach und schrieb, die anderen, inklusiv mir, die Röte ins Gesicht trieb. Ein Interviewtermin kam aufgrund voller Terminkalender leider nicht zustande, aber um die erste Neugier zu stillen, gab es ja immer noch ihr Buch „Sie hat Bock“.
Ich habe selten ein Buch gelesen, das mich auf so unterschiedliche Art und Weise durcheinander gebracht hat. Ich schwankte während des Lesens zwischen kichern, schämen und betroffen sein. Ein Buch, dass ich nur in Kapiteln lesen konnte und nicht am Stück. Denn nach manchen Kapiteln musste ich mich regelrecht schütteln, weil ich das Gefühl, dass ich beim Lesen bekam nicht mehr aushielt. Katjas Schilderungen ihrer Vergewaltigung, waren krass und verstörend. Plötzlich hasste mein Gehirn dafür, dass es mir alles in solch lebendigen Bildern präsentierte. Was beim Großteil der anderen Kapitel durchaus unterhaltsam war, fühlte sich an dieser Stelle unerträglich an. Ich war betroffen und erwischte mich bei dem Gedanken, dass es voll hart war so etwas zu lesen. Gleichzeitig kam ich mir total blöd vor, denn ich hatte es nur gelesen, sie hatte es erlebt und aufgeschrieben. Doch neben meiner Bestürzung wuchs auch meine Bewunderung für Katja Lewina, denn sie hatte nicht nur genug Eier in der Hose, um über die schönen Dinge beim Sex zu sprechen, sondern auch genug um die Dinge anzusprechen, vor denen viele von uns die Augen verschließen, weil sie einfach unerträglich sind.
Dieses Buch hat mir deutlich vor Augen geführt, dass es viele Dinge gibt, die ich in Sachen Sexualität nie hinterfragt habe und wie schambehaftet dieses Thema in einigen Bereichen noch für mich ist. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich hier über alles schreiben würde, was mich bewegt hat. Deshalb habe ich mir drei Kapitel rausgesucht:
1. „Halb Mensch, halb Tier“
Körperbehaarung, eigentlich völlig harmlos und doch so schambehaftet. Volles Haar, ja gerne, aber bitte nur auf dem Kopf. Ich bin jetzt 34 Jahre alt und habe meinen Körper noch nie behaart gesehen. Als ich las, dass Katja Lewina seit zwei Jahren unrasiert ist, war der Trigger vorprogrammiert. Nachdem ersten „Ernsthaft???“ fragte ich mich, warum die meisten Haare an Männern eigentlich sexy sind und an Frauen als unerotisch gelten? Ich fragte mich, ob „haarlos“ ein gesellschaftliches Ding war, das ich ohne zu überlegen übernommen hatte, oder ob es wirklich meine eigene Meinung war. Doch woher wusste ich, dass haarlos cooler war, wenn ich noch nie Haare hatte? Um diese Frage zu klären habe ich ein Experiment gestartet: 30 Tage ohne Rasur. Als ich meinem Mann davon erzählte und ich seine, sagen wir mal verhaltene Reaktion, bemerkte, sprang sofort BullShit FM an: „Bin ich mit Haaren für meinen Mann unattraktiv?“ „Ekelt er sich dann vor mir?“ „Haben wir dann keinen Sex mehr?“ „Sucht er sich dann eine andere?“…
Allein dafür hat sich das Experiment schon gelohnt. Welche Ehe würde wegen ein paar Haaren enden? Keine gute, so viel steht fest. Da ich meine jetzt mal ganz selbstbewusst in die Kategorie „Sehr Gut“ einordne, werden ein paar Haare mehr oder weniger daran nichts ändern. Doch diese Zweifel haben mir gezeigt, wie stark ich mein Selbstbild immer noch davon abhängig mache, ob ich anderen (meinem Mann) gefalle. Sollte ich nicht in erster Linie mir gefallen? Und ihm gefällt dann, dass ich mir gefalle. Ich denke schon und deshalb habe ich es getestet. Den ganzen Verlaufs des Experiments kannst du bald in einem extra Blogartikel lesen.
2. Mini Mumus sind was für Mädchen
Das was ich in diesem Kapitel las, verwirrte mich unendlich. Anscheinend gibt es einen Begriff für das, was ich erlebte und bisher als medizinischen Fehler ansah: „Husband-Stitch“. Nach einer Geburt, die einem Gemetzel ähnelte, wurde ich von zwei Ärzten fast zwei Stunden wieder zusammengeflickt. Das Werk der Zwei stellte sich im Nachhinein als die effektivste Verhütungsmethode der Welt heraus, welche mit einer weiteren OP wieder behoben werden musste. Ich dachte es sei ein Versehen gewesen, dass jemand so etwas mit Absicht macht, war bisher unvorstellbar für mich. Seit ich dieses Kapitel gelesen habe, stelle ich mir die Frage, ob es wirklich solche medizinische schwarze Schafe gibt, die beim zunähen nach einer Geburt, eher an das „Vergnügen“ des Mannes denken, anstatt an das Wohlergehen ihrer Patientinnen? Und vor allem bin ich einem solchen Schaf begegnet? Ich weiß es nicht, vielleicht war es ein Versehen, vielleicht war es Absicht. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich zukünftig mehr hinterfrage und nicht mehr alles stillschweigend ertrage werde.
3. Toy Story
Ein weiterer Punkt, der mich im Verlauf des Buchs zum staunen gebracht haben, war die Tatsache, dass anscheinend 70% der globalen Konsumausgaben von Frauen getätigt werden. Diese Zahl muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Funktioniert die Welt also nur so lange Frauen voller Selbstzweifel sind? Katja Lewina zitierte an dieser Stelle Laurie Penny aus ihrem Buch Fleischmarkt „Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihrem Körper wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen“. Ich weiß, es nicht gerade ein Thema das man in einem Buch über Sex erwarten würde, doch ich fand es absolut perfekt. Katja Lewina erwähnte diesen Fakt übrigens im Zusammenhang mit Sexspielzeug. Ein weiterer Industriezweig, der davon ausgeht, dass „Frau etwas braucht“. Ihr Fazit zu dem Thema „Dabei brauchen wir nun wirklich keine Hilfe in Form von Silikon und Plastik. Was wir brauchen, ist die Freiheit, unsere Sexualität genauso schamlos leben zu dürfen wie Männer“.
Mein Fazit zu diesem Buch, ich bin immer noch genauso neugierig wie zuvor und die Faszination für Katja Lewina ist definitiv gestiegen. Ich feiere sie für ihre Ehrlichkeit und Offenheit und ich bewundere sie für ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein. Ich lege „Sie hat Bock“ jedem ans Herz, der mal das ein oder andere hinterfragen und über den eigenen Tellerrand hinaus blicken möchte.