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Selbstexperiment: Wie fühlt es sich an, wenn man sich 30 Tage lang nicht rasiert?
Vor einigen Wochen habe ich das Buch „Sie hat Bock“ von Katja Lewina gelesen. Dabei hat mich das Kapitel “Halb Mensch, halb Tier” ganz besonders getriggert. Lewina erzählte darin, dass sie sich seit über 2 Jahren nicht mehr rasierte. Eigentlich kein großes Ding, es waren schließlich nur Haare. Doch dann stellte ich mir die Frage, ob ich das auch könnte? Und dann spürte ich gleich ein Unbehagen.
Denn ich hatte keinen blassen Schimmer, wie sich mein Körper mit Haaren anfühlte. Ich wusste nicht, ob ich es eklig, abstoßend oder ganz ok, oder sogar gut finden würde. Ich hatte meinen Körper noch nie in seiner vollen Haarpracht gesehen. Als der Haarwuchs in der Pubertät losging, startete ich gleichzeitig meine Mission Haareliminierung. Die Rasur an Beinen, Achseln und im Intimbereich war ein absolutes Muss, das ich bis zu diesem Kapitel auch nie in Frage stellte. Man rasierte sich einfach. Punkt.
Doch jetzt fragte ich mich plötzlich, ob dieses Muss nicht eher ein Kann war und ob ich nicht erst sagen konnte, dass ich haarlosen Körper bevorzuge, wenn ich wusste, wie sich ein behaarter anfühlte?
Auf die Haare, fertig los
Ich beschloss kurzerhand, das Ganze im November in einem Selbstexperiments zu testen. Die Challenge an mich lautete: 30 Tage nicht rasieren, komme was wolle. Zum Glück war es Spätherbst, so konnte ich mein Experiment gesellschaftlich unbemerkt durchführen. Abgesehen davon, gab es dank des „Movember“ sowieso genügend globale Energie die den Haarwuchs befürwortete. Eigentlich ist der „Movember“ bzw. der „No Shave November“ eine reine Männeraktion, bei dem Männer sich einen Monat lang nicht den Bart rasieren, um auf das Thema Männergesundheit aufmerksam zu machen. Insbesondere auf Hodenkrebs und Prostatakrebs. Doch irgendwie dachte ich, es könne ja nicht schaden, wenn ich mich mit meiner weiblichen Energie still und heimlich einklinken würde. Auch wenn ich natürlich, keinen vorzeigbaren Beitrag zum „Movember“ leisten konnte.
Körperbehaarung eine intime Angelegenheit?
Der Entschluss, das Experiment zu wagen fühlte sich ziemlich intim an. Es war eine Art intime Rebellion, die ich erst erleben musste bevor ich darüber sprechen konnte. Ich wollte herausfinden, wie meine persönliche Meinung dazu ist, ganz ohne das ganze im Außen. Zusätzlich war es tatsächlich ein Thema, dass mich mit meiner eigenen Scham konfrontierte. Ich weiß noch, wie penibel ich darauf geachtet habe, dass ich haarlos zu meinen Arztterminen und auch zur Geburt erschien. Im Nachhinein ziemlich bekloppt. Doch die Sorge, was andere über mich denken würden war real.
Die Scham ist real
Ein weiterer Punkt, der die Schamesröte in mein Gesicht trieb, war die Tatsache, dass ich meinen Mann einweihen musste, bzw. würde er es zwangsläufig mitbekommen. Sofern ich die 30 Tage nicht im Exil verbringen wollte. Ich fand den Gedanken, dass er mich nach 12 Jahren Ehe das erste Mal in meiner vollen Haarpracht sehen würde, mehr als seltsam. Seine Begeisterung für dieses Projekt hielt sich, vorsichtig ausgedrückt, auch in Grenzen.
Die Sache mit dem Kopfkino
Allein für den daraus resultierende Kopfkino hatte sich das Experiment schon gelohnt. Denn seine „Abneigung“ stellte komische Dinge mit mir an. Ich stellte mir plötzlich Fragen wie: „Bin ich mit Haaren unattraktiv?“ „Ekelt mein Mann sich vor mir, wenn ich behaart bin?“ „Haben wir dann keinen Sex mehr?“ „Sucht er sich dann eine andere?“… Nach einer kleinen feinen Mindfuck-Overload kam ich dann zu dem Entschluss, dass meine Ehe sicher nicht an ein paar Haaren scheitern würde.
Wem willst du gefallen? Dir selbst, oder den anderen?
Rückblickend betrachtet finde ich diesen Chaosmoment in meinem Kopf ziemlich lustig aber auch wichtig. Denn die Zweifel haben mir deutlich gezeigt, wie sehr ich meinem Mann gefallen will. Auch unabhängig davon, ob ich mir nicht auch anders gefalle. Das ist ein Punkt, an dem ich zukünftig arbeiten will. Denn ich glaube, es wäre viel schöner, wenn ich so selbstbewusst wäre, dass ich in erster Linie mir selbst gefallen möchte und ihm dann die Tatsache gefällt wie sehr ich Ich-Selbst bin.
Von juckendem Schritt, Kaktusbeinen und Vorurteilen
In der ersten Woche, beobachtete ich mich, wie ich förmlich darauf wartete, dass endlich Haare wachsen würden. Pubertäts Feeling pur. Als die Haare dann wuchsen gab es ein paar Tage an denen mich die wachsenden Haare an den Beinen und im Schritt echt nervten. Ich dann so Sätze, wie: „Ah, dass ist der Grund, warum sich manche Menschen dort kratzen“. Gleichzeitig kämpfte ich mit meinen Vorurteilen. Ich machte mir Gedanken darüber, ob ich unter den Armen jetzt mehr schwitzen und vielleicht sogar stinken würde. Bemerkte aber gleichzeitig, dass mich die Behaarung unter den Armen rein vom Feeling her, am wenigsten störten.
Halbzeit Hoch
In der Hälfte des Experiments, hatte ich echt das Gefühl ich könne auch mit Haaren fantastisch leben. Ich hatte erwartet, dass die Haare etwas an meinem Körpergefühl ändern würden, dass ich mich dadurch unweiblich und unattraktiv fühlen würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Je nachdem in welcher Tagesverfassung ich war, fühlte ich mich durch die Haare besonders rebellisch, im positiven Sinne. Mein Inneres dachte:„Sieh dich an, wie mutig du bist“. Mir gefiel es, dass System zu hinterfragen und das Gegenteil davon zu machen was man von mir erwartete. Es war ein leises auflehnen. Und dabei schwang die große Frage mit: „Was will ICH eigentlich?“
Haare, die verunsichern
Insgesamt war das Experiment eine kleine Achterbahnfahrt. An manchen Tagen fand ich mich sexy und anderen war ich vollkommen verunsichert. Besonders in Sachen Intimbehaarung war ich sehr anfällig für Zweifel. Da nahm das Thema „gefallen wollen“ sehr viel Platz ein. Bei dem Experiment ging es aber in erster Linie darum herauszufinden, wie ich mir selbst am besten gefalle? Es war völlig unerwartet ein sehr tiefsinniges Experiment. Obwohl es doch nur um ein paar Haare ging, oder nicht?
Eine Lektion fürs Leben
Ich bin jedenfalls froh, dass ich es gemacht habe. Denn es hat mir wieder gezeigt, dass ich durch diese kleinen „harmlosen“ Dinge am meisten über mich lerne. Das aufregenste war, dass ich etwas durchzog, von dem ich wusste, dass es mein Partner blöd findet. Das auszuhalten war nicht immer leicht. Doch es hat gezeigt, dass ich auf mich und meine Gefühle vertrauen kann. Ganz egal, was jemand zu mir sagt, auch wenn es der Mensch ist dessen Meinung ich am meisten schätze. Die ganzen Gespräche und unterschiedlichen Meinungen haben auch dazu geführt, dass wir noch ein Stück ehrlicher miteinander umgehen können, wie sowieso schon.
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