Für Wen?
Für alle. Zuerst hatte ich den Impuls zu schreiben, dass dieses Buch für Mütter sei, die immer wieder mit dem Thema Gleichberechtigung kämpfen. Doch das wäre viel zu kurzsichtig, denn ich will nicht noch 133 Jahre warten müssen, bis wir gleichberechtigt sind.
Worum geht’s?
Alexandra Zykunov zerlegt in ihrem Buch “Wir sind doch alle längst gleichberechtigt” 25 Bullshit Sätze, die beweisen, dass wir aktuell noch ziemlich weit von dem Status “gleichberechtigt” entfernt sind. Das sind Sätze, die wir als Mütter immer wieder hören, aber auch vielleicht welche, die wir selbst schon mal gesagt haben. Von “Aber ich liebe mein Kind- da kann ich doch fürs Kümmern kein Geld verlangen” bis hin zu “Frauen wollen doch gar keine Karriere machen” trägt Alexandra Zykunov Schicht für Schicht unserer patriarchalen Prägung ab.
Der von ihr empfohlene Beruhigungstee und der Cat-Content für zwischendurch benötigt man beim Lesen nicht nur, um die eigene Wut gegenüber dem Patriarchat in den Griff zu bekommen, sondern auch, um sich voll auf das geschriebene Wort einlassen zu können. Denn das Schichten abtragen der eigenen patriarchalen Prägung triggert an vielen Stellen. Doch es lohnt sich. Die vielen kleinen persönlichen Geschichten gepaart mit Wortwitz und spannenden Zahlen und Fakten ergeben einen unterhaltsamen Mix über ein Thema, dass uns alle angeht. Bedauert habe ich nur, dass nach diesem Buch wohl nie wieder so TV gucken kann wie vorher. Was ich damit meine, dürft ihr selbst beim Lesen herausfinden.
Meine 3 Learnings
1) Meine patriarchalischen Wurzeln reichen tiefer als gedacht…
Der Bullshitsatz “Frauen wollen doch die Verantwortung zu Hause gar nicht abgeben”, hat mich sehr getriggert. Denn ich war genau wie die Alex aus 2018 der Meinung, dass dieser Satz wahr ist. Ich hatte es ja selbst erlebt.
Als ich Mutter wurde, verhielt ich mich wie Gollum und mein Kind war mein Schatz. Und in dieser Zeit war ich auch nicht bereit, Dinge abzugeben. Es dauerte eine Weile, bis auch meine Welt wieder größer wurde. Und erst als ich bereit war loszulassen, konnte mein Mann der Vater werden, der er wahrscheinlich schon immer war. Dieser Prozess war natürlich mit ordentlich Reibung verbunden. Und ja, am Ende war ich der Meinung, dass ich persönlich schuld war, dass es überhaupt soweit gekommen ist.
Weshalb ich den Satz auch für wahr hielt. Das dieser ganze Mist nur reine Sozialisation von beiden Geschlechtern ist und dass die Bereitschaft, das Zepter abzugeben, mir nur deshalb so schwergefallen ist, weil ich unbewusst darauf getrimmt war zu denken, dass Zepter würde mich erst zur Frau machen, war so BOOM in meinem Hirn. Das Interessante ist, dass ich trotz dieses Moments immer noch das Gefühl habe, es sei doch meine Schuld gewesen. Und genau das macht das Patriarchat so undurchsichtig und gefährlich. Es steckt so tief in einem drin, dass man es gar nicht merkt.
2) Carearbeit ist Arbeit, auch wenn ich mich freiwillig dafür entschieden habe
Von Carearbeit zu sprechen fällt mir manchmal schwer, genau wie der Gedanke von bezahlter Carearbeit. Denn war es nicht mein freier Wille, Kinder in die Welt zu setzen? Und jetzt soll der Staat oder wer auch immer dafür zahlen? Bei dem Thema “bezahlte Carearbeit” schreit ein Teil in mir “her damit” und der andere sagt “nein danke”. Es fühlt sich falsch an, für etwas Geld zu bekommen, für das man sich freiwillig entschieden hat.
Auch wenn die Gesellschaft ohne Kinder und ohne Carearbeit nicht funktionieren würde. Und genau das ist der Punkt, den Alexandra Zykunov uns hier nochmal ganz genau vor Augen geführt hat. Die Gesellschaft braucht Menschen, die sich freiwillig für Kinder entscheiden und es toll finden. Denn ohne Nachwuchs würde das ganze System zusammenklappen. Es ist ein gesellschaftlicher Beitrag, der auch wenn er mit ganz viel Liebe verbunden ist, auch mit zusätzlicher Arbeit verbunden ist.
Und wenn man das erst einmal akzeptiert und es schafft, Carearbeit tatsächlich als Arbeit anzusehen, dann ist es plötzlich auch ganz logisch, dass Carearbeit auch bezahlt werden müsste. Und wie Alexandra so schön die Brücke schlägt, meinen Job liebe ich sehr und ich habe ihn mir freiwillig ausgesucht und trotzdem will ich ganz selbstverständlich dafür bezahlt werden.
3) Mein eigenes Verhalten wird das System nicht ändern
Das ist ein weiterer Punkt, bei dem ich immer noch inneren Widerstand spüre. Denn ein Teil von mir will einfach nicht daran glauben, dass ich mit meinem Verhalten nur (wenn überhaupt) in meinem Minikosmos etwas bewegen kann. Es war auch ein Punkt, über den ich mit Alexandra Zykunov bei ihrer Lesung diskutiert habe. Ich fand diese Erkenntnis fürchterlich frustrierend. Und ich habe sie gefragt, ob sich erst das System ändern muss, damit sich die Gesellschaft ändern kann oder umgekehrt.
Sie sagte, dass die Lösung darin besteht, dass sich beides gleichzeitig bewegt. Und das funktioniert durch Dinge wie Frauenquoten und auch gesellschaftliche Aufklärung, aber eben auch dadurch, dass insbesondere Frauen ihre Stimme erheben sich zusammenschließen und sagen, was sie zu sagen haben. Was mir wieder ein wenig Hoffnung schenkt, dass ich mit meinem Verhalten immerhin andere Menschen erreichen kann und somit zumindest vielleicht doch einen kleinen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel beitragen kann.
Persönliches Leseerlebnis
“Wir sind doch alle längst gleichberechtigt” ist kein Buch, dass ich in einem Rutsch durchlesen konnte. Dafür kamen beim Lesen viel zu viele Gefühle auf. Wobei es ein spannender Mix aus Wut, Freude, Frustration war. Wütend und frustriert war ich vor allem, weil ich mich plötzlich in einem System gefangen fühlte, an dem ich als Einzelperson nichts ändern kann.
Doch auch die Zahlen, Daten, Fakten haben an vielen Stellen für Wut und Frust gesorgt. Das wir benachteiligt sind, war mir bewusst, die Gender Pay Gap kennen wir mittlerweile alle. Doch wie sehr, war mir nicht bewusst. Wenn man sich vor Augen führt, dass 63 % aller Frauen zwischen 30 und 50 weniger als 1000€ netto im Monat verdienen, ist es kein Wunder, dass so viele von Altersarmut betroffen sind. Umso wichtiger, dass sich etwas ändert.
Doch es gab auch Grund zur Freude, denn ich habe festgestellt, dass ich in mancher Hinsicht gleichberechtigter bin, als ich dachte, z.B. übernimmt mein Mann viele als „typisch weiblich“ deklarierte Aufgaben. Er ist derjenige mit den höheren Putzstandards und er ist fürs Bad und die Wohlfühlatmosphäre zu Hause zuständig. Ein Punkt, den ich wirklich schade fand, war, dass ich nach diesem Buch wohl nie wieder so TV gucken kann wie vorher. Müsste ich mein Leseerlebnis in einem Wort beschreiben, wäre es wohl “Achterbahnfahrt”.
Über die Autorin
Alexandra Zykunov ist eine Frau, die im Gedächtnis bleibt. Sie ist SPIEGEL-Bestseller-Autorin, Erfinderin und Co-Redaktionsleiterin des Magazins Brigitte BE GREEN, und Head of Content Innovation und Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen bei der BRIGITTE. Sie lebt mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern in Hamburg. Und für mich persönlich ist sie eine Frau, die im positivsten Sinne kein Blatt vor den Mund nimmt und mit ihren Texten über die Unsichtbarkeit von Frauen und Familienthemen in der Politik fast schon ein Sprachrohr für eine ganze Generation ist und somit auch den gesellschaftlichen Wandel unterstützt. Sie informiert, triggert und bewegt. Und das macht sie mit Daten und Fakten, aber auch persönlichen Geschichten und viel Wortwitz.
Impressionen von der Lesung in Saarbrücken
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