Jeden Monat allein wandern gehen, das ist eines meiner persönlichen Ziele für 2023. Der Grund dafür, ich will Alleinsein üben. Denn irgendwie ist das ein Punkt, den ich in meiner Entwicklung komplett übersprungen habe. Ich war nie wirklich allein. Höchstens Mal im beruflichen Kontext für ein paar Tage, aber meine Freizeit fernab meines alltags habe ich immer mit anderen Menschen geteilt. Das ist einerseits total schön, aber andererseits habe ich dadurch glaube ich, etwas Wichtiges verpasst. Zum Beispiel meine eigenen Bedürfnisse richtig zu kennen und auch selbst befriedigen zu können. Und genau darum hole ich es jetzt einfach in Babyschritten nach. Ganz ohne krassen Neuanfang, Weltreise oder irgendwelchen Retreats. Sondern ganz simple im Alltag.
Meine erste Wanderung allein
Oh man, war ich aufgeregt. Im Nachhinein kann ich sagen, völlig grundlos, aber am Abend vor der Wanderung war die Angst real. Mein Kopf wurde einfach nicht müde, mir ein Horrorszenario nach dem anderen auszuspielen. Und natürlich endeten sie alle mit dem Tod, was sonst. Der Glaubenssatz, allein nicht überlebensfähig zu sein, ist anscheinend immer noch fest in den Tiefen meines Unterbewusstseins verankert. Mittlerweile weiß ich aber, wie ich damit umgehen muss. Ich drehe die Musik einfach laut und singe mit. Denn singen und gleichzeitig nachdenken kann ich nicht.
Am Morgen der Wanderung war die Panik weg, aber mein Gemütszustand mehr als interessant. Bis die Kinder in der Schule waren, war ich im megaangespannten Erledigungsmodus, als ich im Auto, saß verwandelte sich dieser in überschwängliche Freude und das Gefühl, alles schaffen zu können, nur um sich am Zielort wieder in leichte Gereiztheit zu drehen.
Als ich loslief, fühlte ich mich innerlich total gehetzt. Was man auch meinem Tempo anmerkte. Irgendwas in mir wollte einfach schnell fertig werden. Es hinter mich bringen. Es dauerte einen Moment, bis ich mich selbst bremsen konnte. Doch als ich mich nach ein paar tiefen Atemzügen langsam entspannte, war ich ziemlich schnell von der Schönheit des Waldes abgelenkt.
Ich fing an, Fußspuren zu lesen, Ausschau nach Rehen zu halten und Vögel zu beobachten. Währenddessen philosophierte darüber, was eigentlich der Unterschied zwischen einem langen Spaziergang und einer Wanderung ist? Was sind die Kriterien dafür, dass man es Wanderung nennt? Die Länge des Weges, die Location an sich, die Zeit, die man unterwegs ist oder ganz simple das Mitnehmen von Proviant. Ich für meinen Teil habe mich für die letzte Option entschieden.
Je länger ich lief, desto ruhiger wurde ich und am Schluss trödelte ich richtig. Ich war mir gar nicht bewusst, dass ich diese Eigenschaft überhaupt an mir habe, aber irgendwie fand ich es total lustig und spannend, alles super langsam zu machen. Ich bin auch immer wieder stehen geblieben, um mir die unterschiedlichen Baumrinden anzuschauen und anzufassen. Wäre jemand bei mir gewesen, hätte ich das mit Sicherheit nicht gemacht.
3 Dinge, die ich bei meiner ersten Wanderung allein gelernt habe
Pausen machen den Weg/das Leben leicht
Beim berghoch laufen habe ich ganz schnell festgestellt, was für ein Unterschied es macht, ob ich mir zwischendurch eine Pause gönne oder nicht. Wenn ich im „durchziehen“ Modus war und mir keine Pause gegönnt habe, war der Weg anstrengend, ich hatte wenig Spaß und wenn ich oben ankam, war ich erst einmal außer Puste. Wenn ich es hingegen langsamer anging und mir zwischendurch eine Minipause gönnte, war ich fast genauso schnell, hatte jedoch viel mehr Spaß. Berghoch war plötzlich kein Kampf mehr. Durch das langsame Gehen war es plötzlich keine Frage mehr, ob ich am Ziel ankomme (denn ich hatte ja ständig ausreichend Energie), sondern nur noch die logische Konsequenz aus den vielen kleinen Schritten, die ich gemacht habe.
Allein bin ich anders
Mein Alltag ist beherrscht von Momenten, in denen ich mich anpassen muss. In der Regel muss ich Minimum immer auf eine weitere Person acht geben. Allein zu wandern, in meinem eigenen Tempo zu gehen und nur meine Bedürfnisse zu erfüllen war das kompromissloseste, was ich seit Langem getan habe. Und es war wunderbar! Ich habe ganz neue Seiten an mir entdeckt. Manchmal habe ich extrem getrödelt, manchmal bin ich einfach losgerannt, weil ich plötzlich rennen wollte. Ich war plötzlich frei. Frei von den Bedürfnissen und Erwartungen der anderen. In dem Moment ging es nur um mich und das, was ich will. Das war großartig!
Der Weg ist das Ziel
Keine Ahnung, wie oft ich dieses Zitat schon gelesen haben. Doch ich finde, man kann es nicht oft genug lesen und hören. Man vergisst es einfach immer wieder viel zu schnell. In unserer Leistungsgesellschaft zählt oft nur das Ergebnis. Doch ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Denn dann sind wir gedanklich immer bei dem, was kommt, aber nie bei dem, was ist und so verpassen wir am Ende alles, was zählt. Den Moment. Beim Wandern nur im Hier und Jetzt zu sein und den Weg an sich zu genießen hat, mir viele kleine Mini Momente des Glücks geschenkt, z.B. habe ich Rehe auf einem Feld beobachtet und einem kleinen Vogel beim Baden zugeschaut. Und genau das ist es, was mir in Erinnerung bleiben wird. Dieser wunderschöne Weg mit den vielen tollen Momenten, nicht das Ziel, am Ende 10 km gewandert zu sein.
Kleiner Tipp
Packt euch ein kleines Notizbuch und einen Stift ein. Ich hatte während des Wanderns so viele tolle Gedanken, dass ich es bedauert habe keins dabei zu haben.
Wanderfakten
- Dauer knapp 3 Std
- Länge 10,5km
- Location: Wald in Niederwürzbach
Danke fürs Lesen!
Hast du Fragen zu den Selbstexperimenten? Oder wünschst du dir Unterstützung? Dann schreibe mir eine Mail. Ich freue mich von dir zu hören.
